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Unsere Gerichtsbarkeit versagt kläglich – ein Plädoyer für die Menschlichkeit

Zur Vorgeschichte: Unser Mitglied Gudrun F. wurde im Nachgang zu einer dieBasis- Friedensdemo am 05.03.2022 in Hannover der vorsätzlichen Nutzung eines unrichtigen Attests (Gefälligkeitsattest) angeklagt. Diese Anklage wurde in zwei demütigenden Gerichtsprozessen bestätigt und Gudrun verurteilt. Dieser Artikel schildert die fast unglaublichen Erlebnisse und kommentiert sie. Der Kommentar ist ein Plädoyer für die Menschlichkeit von Katja Ballhausen.
Gudrun-KV-Region-Hannover_Staats-ohn-macht

In unserem Beitrag vom 03.08.22 berichteten wir erstmalig über Gudrun (https://diebasis-hannover.de/die-staatsohnmacht/). Ihr wurde die Teilnahme an der dieBasis Friedensdemo im März 2022 verwehrt, weil ihr Maskenattest von der Polizei nicht anerkannt wurde. Damit stand sie nicht alleine da, auch weiteren Teilnehmern und sogar der Organisatorin der Demo wurden die Maskenatteste, ausgestellt von verschiedenen Ärzten und aus unterschiedlichen Gründen, nicht anerkannt. Doch beim Ausschluss von der Demo blieb es nicht. Gudrun erhielt Ende Juli einen Strafbefehl, über 50 Tagessätze á 30 EUR, in Summe also 1.500 EUR, ersatzweise 50 Tage Haft. Der Vorwurf: sie hätte ihren Arzt nur aufgesucht, um ein Gefälligkeitsmaskenattest zu bekommen. Somit wüsste sie auch um die Unrechtmäßigkeit der Nutzung dieses Attests.

Gegen diesen Strafbefehl hat Gudrun Widerspruch eingelegt, um für ihr Recht zu kämpfen. Im folgenden ersten Prozess am Amtsgericht im September 2022 in Hannover sah sich Gudrun mit einem durch die Maske zum Teil unverständlichen Worteschwall des Staatsanwalts konfrontiert, der ihre Diagnose „Dyspnoe“ als unzureichend für ein Maskenattest ansah. Auf den eigentlichen Vorwurf der Vorsätzlichkeit, d.h. ob z.B. zum Zeitpunkt der Ausstellung des Attests überhaupt Ärzten ein Diagnose-Katalog vorlag, in welchen Fällen ein Attest gerechtfertigt ist oder nicht, oder, ob in Gudruns Fall sie hätte wissen können, dass das Attest nicht gerechtfertigt sei, wurde bei der Beweisaufnahme und Prüfung durch das Gericht nicht eingegangen. Die Anzahl der Arztbesuche und die zu „kurzen“ Arztdokumentationen reichten dem Gericht als Indiz aus. Die Schilderung von Gudrun selbst, warum sie zum Arzt ging und dieses Attest benötigte, wurde als nicht relevant abgetan. Wie wenig es dem Gericht um Gesundheit ging, offenbarte sich, als Gudrun mit Atem- und Herzproblemen während der Verhandlung kollabierte. Die Richterin bot lediglich an, einen Arzt zu rufen bzw. sich in einem Nebenraum etwas auszuruhen. Weder der Staatsanwalt noch die Richterin noch die Schriftführerin leisteten erste Hilfe bzw. würdigten Gudruns Wimmern und Leiden nur eines Blickes. Das Urteil wurde in Abwesenheit von Gudrun gesprochen. Das Strafmaß wurde auf 50 Tagesätze á 40,– € erhöht.

Gegen dieses Urteil legte Gudrun Berufung ein, um weiter für ihr Recht einzustehen. So folgte im Februar 2023 der zweite Prozess am Landgericht Hannover. Die Erst-Verurteilung von Gudrun rief 23 Menschen in ihrem Umfeld auf den Plan, sie wohnten der Verhandlung als Zuschauer bei und wurden Zeugen einer erneut demütigenden Verurteilung. Wie schon im Vor-Prozess wurde der Grund für Gudruns Maskenattest als nicht „relevant“ vom Richter eingestuft sowie die Diagnose „Dyspnoe“ („Wer an Dyspnoe (Luftnot, Atemnot) leidet, dem wird im wahrsten Sinn des Wortes “der Atem geraubt”. Trotz verstärkter Atmung haben die Betroffenen das Gefühl, nicht genügend Luft zu bekommen, was oft Erstickungs- und Todesangst auslöst…Atemnot oder Luftnot; tritt akut oder chronisch auf; manchmal in Ruhe, manchmal nur unter Belastung; Begleitsymptome wie Husten, Herzrasen, Schmerzen in der Brust oder Schwindel möglich.“. Quelle https://www.netdoktor.de/) als nicht ausreichend schwerwiegend für ein Attest für eine über 80jährige abgetan. Erneut wurde der Tatbestand der Vorsätzlichkeit nicht eingehend geprüft und Gudrun gegenüber bewiesen. Der Richter leistete sich eine Reihe von Abfälligkeiten und Unhöflichkeiten, sowohl Gudrun als auch ihrem Anwalt gegenüber. Gudrun selbst erlitt auch während dieser Verhandlung wieder einen Zusammenbruch. Und am Landgericht wiederholte sich das ignorante Verhalten des Richters, der Schöffen, desselben Staatsanwaltes wie am Amtsgericht sowie der Schriftführerin, niemand kümmerte sich bzw. beachtete Gudruns Gesundheitszustand. Der Eindruck entstand, als wenn Gudrun Simulieren unterstellt wurde. Die Verhandlung wurde unterbrochen und Gudrun im Anschluss erneut in Abwesenheit verurteilt (es war Gudruns Wunsch, dass ihr Anwalt den Prozess in ihrer Abwesenheit weiterführt). Ein Befangenheitsantrag des Anwalts gegen den Richter wurde in der Folge als unzulässig abgelehnt.

Katja Ballhausen, anwesend als Zuschauerin während der Verhandlung am Landgericht, kommentiert den Prozess:

Plädoyer für die Menschlichkeit

Richter und Richterinnen entscheiden neutral und unabhängig
z. B. darüber, ob Rechtsbrüche oder Ordnungswidrigkeiten begangen wurden, wie
schwer ein Verstoß gegen geltendes Recht wiegt oder welche Partei in einem Streitfall
im Recht ist. Umfangreiches Fachwissen, eine hohe Sozialkompetenz und
selbstverständlich ein gutes Urteilsvermögen sind Voraussetzung, um Richterin
und Richter zu werden.

Unschuldsvermutung – Bedeutung im Grundgesetz & StPO:

Einer der wichtigsten Grundsätze im deutschen Strafverfahren ist die sogenannte Unschuldsvermutung, die sogar Verfassungsrang hat. Man gilt quasi solange als unschuldig bis das Gegenteil bewiesen ist. Dennoch werden Beschuldigte im heutigen Medien- und Internetzeitalter manches Mal vorschnell schon im Vorfeld von den Medien und von der Gesellschaft als Kriminelle „verurteilt“.

Bei der Unschuldsvermutung handelt es sich um einen Grundsatz im deutschen Strafverfahren, wonach ein Beschuldigter solange als unschuldig zu gelten hat bis zum rechtskräftigen Beweis seiner Schuld.

In Deutschland ist die Unschuldsvermutung nicht ausdrücklich niedergelegt. Dieser Grundsatz ergibt sich nach einhelliger Auffassung aus dem Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3GG, Artikel 28 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Artikel 6 Abs. 2 der EMRK lautet ausschließlich:

Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig:

Zudem findet die Unschuldsvermutung auch in Artikel 11 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ihre Grundlage. Dort heißt es:

Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen sind.

Aus § 136 Abs.1 StPO ergibt sich, dass niemand sich selbst belasten muss und damit der Beschuldigte ein Schweigerecht hat, ohne dass dieses Schweigen ihm zum Nachteil gereichen darf.

Ein Angeklagter darf somit nicht gezwungen werden, vor einem Gericht auszusagen, um seine eigene Unschuld zu beweisen. Kern der Unschuldsvermutung im Strafverfahren ist somit, dass der Beschuldigte nicht seine Unschuld beweisen muss, sondern der Staat bzw. die
Strafverfolgungsbehörden die Schuld beweisen müssen.

Die Beweislast liegt beim Staat und nicht beim Beschuldigten. Somit ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft jegliche Zweifel an der Unschuld zu beseitigen, damit ein Angeklagter tatsächlich schuldig gesprochen werden kann. Es gehört auch zur Unschuldsvermutung, dass die Staatsanwaltschaft das Gericht in Kenntnis zu setzen hat, wenn es Beweise
findet, welche auf die Unschuld einer angeklagten Person hindeuten oder die
Beweiskraft der vorgebrachten Dokumente in Frage stellen.

Legt ein Angeklagter Berufung bei der nächsten Instanz ein, so gilt für den Angeklagten also weiterhin die Unschuldsvermutung – er gilt bis zum Urteilsspruch des Berufungsgerichts als nicht verurteilt und damit unschuldig.

*

Warum schreibe ich das?

Mir geht es nicht darum, bestehendes Recht zu beugen oder zu brechen!

Unschuld zu fordern, wo objektiv Schuld besteht!

Mir geht es um die Förderung der – ich nenne es – Heilighaltung von Recht und Gesetz!

Die Demokratie wird dadurch vernichtet, dass sie durch noch mehr unerbittliche Härte und Bestrafungen die äußersten Konsequenzen ihres Prinzips durchführt!

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt!
GG Art. 1, Satz 1“

Menschenwürde ist ein objektiver Anspruch, unter dem ein Recht zu verstehen ist, das von anderen Anerkennung, Beachtung, Respektierung und Erfüllung verlangt! Dieser Anspruch ist „unantastbar“ und kann nicht verloren gehen. Wohl aber können Menschen durch die Verweigerung der Anerkennung und Respektierung dieses Anspruchs sich aneinander und an sich selbst schwer schuldig machen!

Menschenwürde ist ein Anspruch auf Achtung. Das umschließt in jedem Fall ein Wahrnehmen, ein Ernstnehmen und einen respektvollen Umgang!

Auch Richter und Staatsanwälte sind in ihrem Amt den Rechten und der Achtung der Würde eines Angeklagten verpflichtet und dürfen ihn nicht zu einem bloßen Mittel oder Objekt herabwürdigen!

Auch Richter und Staatsanwälte sind nicht befreit von jeglicher Achtung gesellschaftlicher Grundnormen!

Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird! 

Aus meiner Sicht war dieser Prozess herabwürdigend und eine reine Machtdemonstration, ohne jede Empathie oder Sozialkompetenz! Nicht nur für die Angeklagte Gudrun F., sondern für die Menschlichkeit schlechthin!

Auf mich wirkte dieser Prozess so, als wolle man der Angeklagten Gudrun wegen des Nichttragens einer Maske den Prozess machen, als wäre der Prozess längst entschieden und dieser Beschluss zu verteidigen! Als läge im Attest des Arztes ohne Angaben von Diagnosen für eine Maskenbefreiung eine „besondere Schwere der Schuld“, die absolut strafwürdig ist und gar nicht in den Blick nehmen will, wie unangemessen dieses Strafmaß ist. Der Mensch in diesem Prozess wurde gar nicht gesehen!

Es geht nicht an, dass ein Mensch in einem Prozess bereits vorverurteilt wird, was für jeden spürbar im Raum stand! Ein Mensch sich wiederholt rechtfertigen muss, wo er schon alles erklärt hat, seine subjektive und belastende gesundheitliche Situation mehrfach verdeutlicht hat, um so seine Unschuld zu beweisen! Es geht auch nicht an, dass ein Richter der freundlichen Bitte eines Angeklagten lauter zu sprechen, nicht bereit ist nachzukommen

Wer als Richter angesichts der physischen und psychischen Überlastung eines Menschen von  einem „Schauspiel“ spricht, den berechtigten Antrag des Verteidigers auf Befangenheit des Richters zurückweist, der weiß nicht, was er anrichtet oder er will es nicht wissen, weil er die Fähigkeit zu Mitgefühl und Empathie schlicht verloren hat!

Es gibt eine Fähigkeit, stellvertretend für andere deren Entwürdigung zu fühlen und damit Handlungen als menschenunwürdig zu verurteilen. Es gibt ein allgemeines Bedürfnis nach fundamentalem zwischenmenschlichem Respekt und ein Bedürfnis, nicht respektlos oder gar
erniedrigend behandelt zu werden!

Macht um der Macht willen kann immer nur willkürlich und lieblos sein!

Regeln und Gesetze wurden doch aufgestellt, um uns das Leben zu ermöglichen und uns zu schützen.

Ich bin aber gegen sie, wo sie sich diktatorisch verdichtet haben, genau wie die aufwendige Bürokratie im Gemeinwesen, die den Staat als solches unerreichbar macht! Gesetzlichkeit, die nicht mehr mit einer sinngemäßen Anwendung übereinstimmt wirkt wie ein in Vernunft gekleideter Wahnsinn!

Zu viele Normen und Gesetze bringen einen Menschen eher dahin, ihn zu vernichten!

Wenn ein Volk nur noch durch Gesetze regiert wird, die Ordnung im Land nur noch durch Strafen aufrecht erhalten werden kann, dann werden immer mehr Menschen sich von
diesem Staat abwenden und von ihrem verfassungsmäßigen Recht auf Widerstand
Gebrauch machen!                                                               *

 

Würden Politiker treu und redlich sein, wären sie glaubwürdiger, dann würde das Volk sich der Regierung und dem Staat gegenüber sicher auch respektvoll und regierungstreu verhalten. Es könnte wahrhaftiger, politisch interessierter und engagierter und loyaler sein!

Der Staat muss einfach für den Bürger da sein, genau wie die Gesetze, die er erlässt! Und er muss in diese Verantwortlichkeit zurückkehren!
Wenn die Worte der Politiker nicht mehr aufrichtig sind und ihre Handlungen nicht mehr zuverlässig, wenn ihre Worte nicht mehr das Richtige treffen, dann werden ihre Aufgaben keinen Erfolg haben und keine Ordnung und Harmonie in diesem Land sein!    

Wenn Ordnung und Harmonie nicht bestehen, dann sind auch die Strafen  nicht mehr gerecht und die Werte zerfallen.
Wo Ordnung und Harmonie auseinanderfallen, da können auch strengere Strafen und
Gesetze sie nur an der Oberfläche, aber nicht fortdauernd verbinden! Werte müssen erfahrbar sein, sie müssen vorgelebt werden. Nicht erzwungen!

Es werden nicht die weltlichen Gesetze sein, die die wahre Gemeinschaft der Menschen schaffen oder wiederherstellen können! Wandel kann nur geschehen aus einem veränderndem und verbindendem Geist!

Die veränderte Welt wird eine Welt sein, in der es leichter wird, voreinander zu bestehen, einander zu begegnen und zu verstehen und daher auch einander mit mehr Mitgefühl, Achtung und Respekt zu begegnen!

*

Mitgefühl und grundsätzliche Güte scheinen oft so fern, als führe die Erfüllung einer Pflicht im Dienst des Staates unweigerlich zu einer verhärteten und strengen Haltung und schlösse damit die nachsichtige Güte aus!
Ich halte nicht nur Achtung und Respekt, sondern auch Güte für den Erhalt einer Demokratie für unerlässlich und diese Güte muss von oben kommen, muss vom Staat ausgehen, seinen Vertretern! Mit Güte meine ich Höflichkeit, einen offenen, freundlichen Blick, Aufrichtigkeit, Sorgfalt, Milde! All das, was der Angeklagten, ihrem Verteidiger und uns als Zuschauer verweigert wurde und nur der geladenen Zeugin, einer Polizistin, zuteil wurde!

 

*

Dieser Prozess hat mich und viele andere zutiefst beschämt und zornig gemacht! Ich denke, aus einem gerechten Zorn heraus! Ein Richter hat einen Ermessensfreiraum! Die unerbittliche Härte in diesem Prozess raubt jedes Vertrauen in die Justiz!

Mir geht es hier aber nicht so sehr um das rechtliche Urteil! Darüber zu entscheiden wird auf einer höheren Instanz entschieden werden! 
Mir geht es um den Verlust der menschlichen Werte in diesem Prozess! 
Das Unrecht, das Leid, das einem Menschen angetan wird und in keinem Verhältnis steht zu der vermeintlichen Straftat! Und es geschieht, weil es Menschen gibt, die die Macht dazu haben! Denen diese Macht verliehen wurde und uns beschämt, empört und hilflos zurücklassen!

Katja Ballhausen

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